Rezension

Der Hass ist real

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von Marc-Uwe Kling

Bewertet mit 5 Sternen

Bedenkenswert

 

Was ist nur aus diesem Land geworden, fragt sich BKA-Kommissarin Yasira Saad, die in einem Fall der Vergewaltigung der Schülerin Laura Palmer ermittelt, dessen Video zuvor viral gegangen ist. Die darin gezeigten Täter hatten eine dunkle Hautfarbe, was eine Hatz im Netz und in der Realität auf „Ausländer“ auslöste. Angeführt wurde diese von der „Heimatfront“, die mit Hilfe dieses Videos Front macht gegen Überfremdung und im Namen der Selbstverteidigung zur Selbstjustiz aufruft – wieder per Video viral. Doch je weiter Yasira in den Ermittlung vorstößt, desto mehr Fragen tun sich auf, bis hin zu der Frage, wie wirklich die Wirklichkeit denn nun wirklich ist. Und bald gerät Yasira, nicht nur, weil auch sie als „Ausländerin“ zählt, in die Schusslinie von Presse und der „Heimatfront“.

Die Gemüter kochen hoch in dem Roman „Views“ von Marc-Uwe Kling. Ein ungewohnt ernster Roman für einen Autor, der vor allem für seine Komik bekannt ist durch die Känguruh-Trilogie oder die Quality-Bände, die sich auch schon mit dem Thema „Internet“ und die Steuerung der Gesellschaft durch das „Netz“ auseinandersetzten. Allerdings eher auf eine lustige Art. Dass sich der Autor hier weitestgehend jeglichen flapsigen Seitenhieb unterlässt, ist dem Thema auch mehr als angemessen. Denn hier geht es um das ernste und mehr als aktuelle Thema, wie „Fake news“ die öffentliche Meinung manipuliert und zwar ohne Grenze. Ohne hier das Ende verraten zu wollen, eröffnen sich in Klings Roman bisher noch nicht ganz vorstellbare Möglichkeiten der Manipulation durch künstliche Intelligenz, die lediglich über unendliche Fähig- und Fertigkeit, nicht aber über ein Bewusstsein für Richtig oder Falsch verfügt.

Marc-Uwe Kling nutzt das Medium der Literatur, eine mögliche Welt zu erschaffen, in der er modellhaft durchspielen kann, was bereits in Ethikkommissionen auf abstraktem Level diskutiert wird. Ein schon vom Buchcover her intelligent gemachtes Kabinettstück über die Möglichkeiten des Machbaren und deren fehlende Grenzen. Und die Moral von der Geschicht ist, dass, egal, welche „Wahrheiten“ das virtuelle Netz erfindet, die Reaktion der Menschen darauf immer echt und real ist.