Rezension

Man braucht Zeit, um hineinzukommen

A Reason To Stay - Liverpool-Reihe 1 -

A Reason To Stay - Liverpool-Reihe 1
von Jennifer Benkau

Inhalt:

In Liverpool möchte Billy ein neues Leben anfangen. Ihr großer Wunsch ist es einen Assistenzplatz für Kuration im Naturkundemuseum zu ergattern.

Die Party, im Anschluss an die Führung durch das Mary Annings Museum, möchte Billy nutzen, um Kontakte zu den Mitarbeitern zu knüpfen und networking zu betreiben.

Das Schicksal meint es nicht gut mit Billys Plänen. Erst fällt sie, nachdem sie jemand geschubst hat, direkt in die Arme eines Fremden, dann setzt ihre Freundin Olivia alles daran, die Party möglichst zeitnah zu verlassen.

Olivia tut der Vorfall leid. Sie hat eine gute Entschuldigung, die jedoch nicht die verpassten Kontakte aufwiegt. Ihr schlechtes Gewissen versucht sie zu beruhigen, indem sie ein heimliches Treffen zwischen dem Fremden von der Treppe und Billy organisiert..

Sowohl Cedric, so der Name des Fremden, als auch Billy sind davon anfangs nicht begeistert. Doch sie machen das Beste aus der Situation. Bald aber merken beide, dass sie einen guten Draht zueinander haben. Schnell wird jedoch klar, dass Cedric nur an einem schönen Abend interessiert ist. Auch Billy möchte eigentlich eher ihr Leben konsolidieren.
So entsteht die Geschichte zweier Figuren, die weder miteinander noch ohne einander leben können.

Billy erfährt in Gesprächen von Gerüchten, die sich um Cedric drehen. Er scheint jemand zu sein, der seltsam unberührt bleibt, der oft beobachtet und doch keine Nähe zulässt. Freundschaften sucht er nicht, Beziehungen bleiben oberflächlich. Und das hat auch einen guten Grund: Denn die düsteren Gedanken und Gefühle, die ihn in schwierigen Zeiten überkommen, kann Cedric nicht beherrschen.

Meinung:

Jennifer Benkau macht es ihren Lesern anfangs nicht leicht, ihre Figuren zu finden und der Handlung zu folgen.

Der Leser lernt Billy kennen. Eine selbstbewusste junge Frau, die scheinbar in ihrer Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat. Eine Zeit lang musste sie in ihrem Auto schlafen. Irgendetwas hat sie aus ihrer alten Heimat vertrieben. In Liverpool hat sie nun Fuß gefasst. Hier ist sie auf die quirrlig spontane Olivia getroffen, die sie auch prompt in ihrer WG aufgenommen hat. Billy hat Träume und Ziele. Sie möchte unbedingt die Assistenzstelle für Kuration im Naturkundemuseum ergattern.

Als Billy auf Cedric trifft, nimmt ihr Leben jedoch eine unerwartete Wendung. Cedric ist ein Junge, der mit seinem Charme sofort von sich zu überzeugen weiß. Er trägt ein schiefes Lächeln auf den Lippen, ist entwaffnend ehrlich und flirtet hemmungslos. Bereits beim ersten Zusammentreffen möchte er Billy gleich zu einem gemeinsamen Frühstück einladen.

Cedric studiert Meeresbiologie an der Liverpooler University. Also genau dort, wo Billy im “ Sweet & Cheesy“, einem kleinen Campusrestaurant, arbeitet.

Im ersten Teil des Buches lernt der Leser die Figuren besser kennen. Als Leser muss man sich daran gewöhnen, dass der Anfang der Beziehung geradezu in Lichtgeschwindigkeit erzählt wird.
Gemeinsam besuchen sie Restaurants. Cedric geht auf eine Forschungsreise und berichtet Billy davon. Das ist alles manchmal verwirrend und vielschichtig, manchmal anekdotisch-abschweifend und oft unübersichtlich.

Cedric quälen, das ergibt sich nach einigen Seiten, düstere Gedanken, die er selbst als Gewitter bezeichnet. Er erscheint auf Außenstehende immer wie ein fröhlicher Mensch, der mit seinen Problemen gut umgehen kann. Doch das ist nicht so.

Es dauert, bis Cedric über seine Krankheit spricht. Die Auswirkungen, die eine Depression auf Betroffene und ihre Umwelt haben kann, werden von ihm sachlich und nüchtern in Gesprächen dargestellt.

Erst in der letzten Hälfte des Buches kam für mich ein richtiger Lesesog auf. Billy und Cedric haben gemeinsame Erfahrungen gesammelt und die waren nicht immer einfach. Die Beziehung, die beide zueinander aufgebaut haben, ist sehr intensiv und zugleich unglaublich rücksichtsvoll.

Und gerade da, wo sowohl Cedric und Billy nicht mehr ohne einander können. Da, wo der Leser die beiden auch unbedingt zusammen sehen möchte, obwohl er begreift, dass diese Beziehung alles andere als einfach ist, da holt Billy ihre Vergangenheit ein.

Im letzten Viertel des Buches setzte all das ein, was ich über die Seiten hinweg vermisst habe. Cedric und Billy führen unglaublich intensive Gespräche. Sie zeigen einen bedingungslosen Zusammenhalt und lassen sich dennoch gegenseitig alle Freiheiten. Hier bleibt die Sprache oft sachlich und trifft die Leser doch mitten ins Herz.

Fazit:

Zugegeben, "A Reason to Stay" von Jennifer Benkau erfordert eine Portion Durchhaltevermögen, aber der Leser wird bestens für seine Mühe belohnt.

Man braucht Zeit, um hineinzukommen in Benkaus Roman. Der Anfang hallt verwirrend und vielschichtig, abschweifend und unübersichtlich nach.

Das Ende entschädigt aber für einige überflüssige Seiten zuvor. Im letzten Viertel erlebt der Leser Momente beeindruckender Schönheit, emotionaler Tiefe und scharfsinniger Gespräche. Hier findet sich ein gelungenes Buch über den Luft- und Lebensräuber Depression.

Ein Buch dem man sich als Leser mit Geduld und großer Neugierde nähern sollte. Lesern die das mitbringen, ist das Buch zu empfehlen.

Buchzitate:

„Alles ist gerade so falsch, alles. Ich weiß nicht wohin ich soll.“ „Im Zweifel zu mir. Bei mir bist du richtig, okay?“