Rezension

Die Macht der Bilder

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von Marc-Uwe Kling

Bewertet mit 3 Sternen

Ein junges Mädchen verschwindet. Von ihr bleibt nur ein letztes Video, dass unvorstellbare Bilder zeigt und im Land sofort hohe Wellen schlägt. BKA-Kommissarin Yasira Saad wird auf den Fall angesetzt und beginnt im Laufe ihrer Ermittlungen an den veröffentlichten Bildern zu zweifeln. Doch es scheint zu spät, um die Entwicklungen aufzuhalten. Nicht nur der Rechtsstaat ist gefährdet, auch Yasiras Leben steht plötzlich auf dem Spiel.

Ich bin etwas unschlüssig mit der Einschätzung über Marc-Uwe Klings ersten Thriller. Er greift zielsicher all die aktuellen Punkte bzw. Probleme unserer Zivilgesellschaft auf und verwebt sie zu einem großen pessimistischen Szenario in dem historische Ereignisse der nahen Vergangenheit genauso herhalten müssen wie all die Klischees, die ich seit meiner Jugend auf dem Dorf in den 1990ern kenne: aufmarschierende Rechtsradikale, Lynchjustiz, brennende Asylantenheime, Misogynie und Angriffe auf den Rechtsstaat – das alles durch die Lupe von Social Media extrem verstärkt. Nun, die Klischees scheinen heute keine mehr zu sein. Seit der Corona-Krise radikalisieren sich die Menschen, trauen sich ihre eigenen zweifelhaften Wahrheiten zu verbreiten. Ich fühle die Ohnmacht selbst, die durch Klings Zeilen wandert. Künstliche Intelligenz ist in unserem Alltag angekommen und bringt die Glaubwürdigkeit von Bildern, Filmen und Videoschnipsel ins Wanken. Sein Roman wirkt wie eine Art Zeitzeugnis. Es erschreckt, verärgert, empört. Und vor allem bietet es keine Zuversicht. Kein Lichtblick am anderen Ende des Tunnels – Insbesondere für uns Frauen. Wir sind in diesem Thriller in mehrerlei Hinsicht die Opfer. In meiner Lesart ist sich der Autor dessen voll bewusst und will darauf hinweisen, wie sich das System Patriarchat und Kapitalismus von seiner schlechtesten Seite zeigt und welche Entwicklungen zu erwarten sind. Mit seinem offenen Ende offenbart er allerdings auch, dass er die Probleme erkannt und benannt hat, doch keine einfachen Lösungen in Sicht sind. Und so schlägt man oder vielmehr frau das Buch mit einer Mischung aus Beklemmung, Ohnmacht und Wut zu.