Rezension

Fassungslosigkeit, Wut und Sprachlosigkeit

Feldpost -

Feldpost
von Mechtild Borrmann

Als die Anwältin Cara Russo während der Vorweihnachtszeit in einem Café sitzt, wird sie von einer ihr unbekannten Frau angesprochen, die ihr eine geheimnisvolle Geschichte erzählt.
Kurze Zeit später verschwindet die Fremde und lässt eine Tasche zurück, die berührende Liebesbriefe aus dem 2. Weltkrieg, sowie Unterlagen über einen Hausverkauf in der Vergangenheit enthält.
Caras Neugier ist geweckt und sie möchte wissen, was es mit den Briefen auf sich hat und was hinter den Dokumenten steckt.
Während ihrer Nachforschungen stößt sie auf die Geschichte einer Liebe, die nicht sein durfte
und dunkle Machenschaften in der deutschen Vergangenheit.

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Cara Russo, Adele und Alfred Kuhn mit ihren Eltern, sowie die befreundete Familie Martens um Sohn Richard sind einige der Charaktere, die wir in Gegenwart und Vergangenheit begleiten dürfen.
Die Geschichte startet einige Tage vor Weihnachten in Kassel im Jahr 2000 und führt uns bis in die Mitte der 1930er und 40er Jahre in ebendiese Stadt zurück.
Bereits zu Beginn der Geschichte wird die Neugier sowohl der Protagonistin Cara Russo, als auch die der Leser gleichermaßen geweckt, um wen es sich bei der unbekannten Frau im Café handelt, welches Anliegen sie hat und warum genau sie sich speziell an Cara gewandt hat.
Im Wechsel der Kapitel bekommen wir einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt jeweils anderer Protagonisten.
Erst nach und nach erfährt der Leser, wie die Geschichte der Gegenwart und der Vergangenheit miteinander verwoben sind und was es mit den Briefen und Dokumenten auf sich hat.
Dieser Wechsel zwischen den Zeitebenen macht die Geschichte abwechslungsreich, vielschichtig und spannend. Seite für Seite setzen sich die Geschehnisse wie ein Puzzle zusammen.
Alle Charaktere, die wir im Laufe der Geschichte kennenlernen dürfen, wirken lebendig und lebensnah durch ihre Ecken und Kanten.
Mithilfe der Familie Kuhn und Martens, die gegensätzliche politische Lager vertraten, bekommen wir außerdem erschreckende Einblicke, was Gegner des nationalsozialistischen Regimes tagtäglich erleiden mussten.
Der Zeitgeist der 1930/1940er Jahre wurde sehr authentisch eingefangen, man bekommt ungefilterte Einblicke in das Leben zur Zeit des 2. Weltkrieges.
Das politische Geschehen der damaligen Zeit wird auch für Laien auf diesem Gebiet und ohne viel geschichtliches Hintergrundwissen verständlich und interessant umgesetzt. Der Schwerpunkt dieser Geschichte liegt aber eindeutig auf den zwischenmenschlichen Problematiken und nicht auf politischen Ereignissen.
Die Feldpost, die dem Buch seinen Titel gegeben hat, findet nur vereinzelt ihren Platz in der Geschichte, ist aber, wenn die Sprache auf sie kommt, sehr gefühlvoll und berührend.

Der Schreibstil der Autorin ist für mich besonders nennenswert: Sie schafft es, Gegenwart und Vergangenheit sprachlich deutlich voreinander abzusetzen, sodass man während des Lesens immer genau weiß, zu welcher Zeit man sich aktuell befindet.
Durch die Detailliebe werden Orte und Situationen so eingefangen, dass man das Gefühl hat, Teil der Geschichte und selbst involviert zu sein.
Die kurzen Kapitel machen es einem leicht durch die Seiten zu fliegen. Wären da nicht all die schrecklichen Geschehnisse, die einen während des Lesens immer wieder innehalten lassen: Fassungslosigkeit über den menschenunwürdigen und demütigenden Umgang mit systemkritischen Menschen, sowie Personen, die nicht ins Raster passten.
Wut über die Willkür und die Korruption der Regierung, die Menschen dazu brachte, sich anzupassen um nicht aufzufallen. Nicht selten kollidierten Vernunft und Gefühl und die Menschen mussten gegen ihre Überzeugung handeln und zum Schutz ihrer Familie zu Lügnern und Schauspielern werden.
Außerdem Sprachlosigkeit über die Auswirkungen des Krieges, die Kontrolle durch den Staat, die sich in alle Lebensbereiche erstreckt und tägliche Einschränkungen sowie gesellschaftlichen Druck und Perspektivlosigkeit mit sich brachte.

Als ich angefangen habe, diese Geschichte zu lesen, hätte ich niemals damit gerechnet, was hinter allem steckt und doch löst sich alles schlüssig auf. Die niedergeschriebenen Themen sind aktueller denn je und lassen kein Leserherz unberührt.
Die Geschichte liest sich zeitweise wie ein Krimi, dessen Sog man sich nicht entziehen kann und dessen Einblicke in das damalige Leben einen sprachlos zurücklassen.