Rezension

Grandioses Debüt

22 Bahnen -

22 Bahnen
von Caroline Wahl

Bewertet mit 5 Sternen

Ein normales Familienleben kennt Tilda nicht. Seitdem ihr Vater die Familie verlassen hat ist die Mutter Alkoholikerin und nur in guten Phasen in der Lage, sich und Tilda und ihre wesentlich jüngere Schwester Ida zu kümmern.
So ist es Tilda, die ihrer Schwester schon seit Jahren nicht nur die Mutter ersetzt, sondern sie auch vor Angriffen der eigenen  Mutter schützt, wenn diese wieder einmal zu tief in die Flasche geschaut hat.

Trotz der desolaten familiären Verhältnisse studiert Tilda Mathematik, muss aber, um ihr Studium zu finanzieren, arbeiten gehen.

Ihr Tag ist somit eng durch getaktet und die einzige Ich Zeit, die sich Tilda gönnt, ist ein allabendlicher Schwimmbadbesuch, bei dem sie immer ziemlich genau 22 Bahnen schwimmt.

Als sie eines Tages bei diesen Schwimmbadbesuchen auf Viktor trifft, dessen Bruder Tilda kannte, nimmt ihr Leben langsam aber sicher eine andere Wendung.
Als ihr ein Professor der Universität dann auch noch eine Stelle in einer anderen Stadt anbietet, erkennt Tilda, dass sie eine Entscheidung treffen muss…

Ich gebe zu, ich musste mich, da ich nicht mehr zur Altersgruppe der Autorin gehöre, sprachlich zunächst auf den Roman einlassen, was aber sehr schnell gelang.

Auch wenn die Sprache, was aber nicht zuletzt auch dem Thema und dem Alter der Protagonistinnen geschuldet ist, auf eine jugendlich Zielgruppe ausgerichtet und sehr einfach gehalten ist, gelingt es der Autorin sehr gut, die desolate familiäre Situation von Tilda und Ida vor dem inneren Auge der Leser*innen lebendig werden zu lassen. Geschickt nutzt sie als Gegenpol die Familie von Tildas bester Freundin Marlene, die ein normales Familienleben führt und es geht zu Herzen, als geschildert wird, wie Tilda sich zum ersten Mal bei Marlenes Familie an einen üppig gedeckten Abendbrottisch setzen und am Abendessen teilnehmen darf.

Sehr gut auch die Auseinandersetzung mit der Alkoholkrankheit der Mutter. Hier wird ein ständiges Auf und Ab zwischen Phasen, in denen die Mutter volltrunken, kaum ansprechbar und streitsüchtig ist, aber auch Phasen in denen sie Besserung gelobt, kocht und versucht für die Kinder da zu sein, geschildert.

Ebenso stark sind die drehbuchartigen Dialoge, die immer wieder im Buch zu finden sind und der Geschichte einen ganz eigenen Charakter verleihen.

Nicht zuletzt dadurch gelingt es der Autorin, die eigene persönliche Entwicklung, die sowohl Tilda, als auch vor allem ihre Schwester Ida durchmachen, eindrücklich und glaubhaft zu schildern und letztlich hat der Roman, trotz der schwierigen angesprochenen Themen doch ein versöhnliches Ende.

Für mich ein beeindruckender Debütroman einer jungen Autorin, von der wir sicher noch einiges hören werden.