Rezension

Zwei Schwestern halten zusammen

22 Bahnen -

22 Bahnen
von Caroline Wahl

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Roman wie ein Unterwassersog, der mich jedoch nicht so in die Tiefe zog wie gewünscht und mich leicht melancholisch zurückließ

Gestaltung:

Das Layout des Buches ist sehr gelungen: Das Wasser mit einer schwimmenden Frau, die man nicht klar erkennen kann, passt super zum Titel und zum Inhalt. Als Hardcover ist das Buch sehr wertig verarbeitet und ein Lesebändchen macht es perfekt.

Inhalt:

Tilda ist am Ende ihres Mathestudiums, sie ist sehr begabt und ihr wird eine Habilitationsstelle angeboten. Doch dafür müsste sie die Stadt verlassen und ihre 10jährige Schwester Ida, die sie sehr liebt mit ihrer alkoholkranken und oft gewalttätigen Mutter alleinlassen.
Ihre Ablenkung und Beruhigung findet sie beim regelmäßigen Schwimmen. Im Schwimmbad trifft sie auf Viktor, der dort immer seine 22 Bahnen schwimmt. Er ist der ältere Bruder eines verstorbenen Mitschülers und nicht nur das bringt Tildas bisheriges Leben ins Wanken.

Mein Eindruck:

"Wenn ich nachts auf meiner Matratze liege und der Wind oder die Sommernachtsbrise durch die weit geöffneten Fenster auf mich fällt, dann scheint kurz alles gut zu sein. Dann fühle ich mich leicht. Wenn ich nachts auf meiner Matratze liege, dann denke ich, dass ich das Ganze da draußen noch lange aushalten kann. Solange der Wind nachts auf mich fällt, denke ich, kann ich mich tagsüber in den Krieg da draußen stürzen. Gegen meine Mutter, gegen ihre Launen, gegen diese Kleinstadt. Und für Ida." (S. 15)

Dieses Buch hatte mich vom ersten Satz an in seinen Sog gezogen und ließ mich bis zum Ende nicht mehr los. Die komplette Handlung ist aus Tildas Sicht geschrieben. Man erlebt beim Lesen live Tildas Gedankengänge mit, was sich in einem Schreibstil mit langen Sätzen mit vielen Kommata äußert. Zahlenwörter werden nicht in Worten, sondern Zahlen geschrieben, was auf den ersten Blick irritieren mag, aber zu Tildas mathematischer Neigung sehr gut passt.
Obwohl beide Schwestern altersmäßig weit auseinanderliegen und beide von verschiedenen Vätern stammen, die sie beide jeweils kaum bis gar nicht kannten, halten sie fest zusammen. Tilda kümmert sich liebevoll wie eine Mutter um Ida und beschützt sie vor der Gewalt ihrer Mutter, so gut es geht. Ihre Angst, Ida mit der Mutter alleine zurückzulassen, konnte ich gut nachvollziehen. Bis zum Schluss des Romans hatte ich ein ungutes Gefühl im Bauch, ob mit Ida nicht doch etwas Schlimmes passiert.
Die Mutter ist immer da und doch überhaupt nicht präsent. Wie ein Schatten, eine unberechenbare Bedrohnung erscheint sie einem. Als Mensch wird sie leider dem Leser nicht greifbar, ihre Entwicklung wird nicht weiter beleuchtet, was ich etwas schade finde.

"Ich schweige. Das muss aufhören. Ich bin nahezu besessen von ihm und ich weiß gar nicht, wieso. Oder ich weiß es doch. Er ist wie ein Rätsel, das ich lösen will, wie eine Matheaufgabe, die ich nicht verstehe, und ich hasse es, wenn ich Matheaufgaben nicht sofort verstehe."(S. 53)

Ich mochte Tilda, auch weil sie etwas mathematisch-nerdig ist und ich in manchen Situationen ähnlich ticke. Dennoch hatte ich manchmal Probleme, ihre Handlungen nachzuvollziehen, die Charaktere blieben letztendlich oberflächlich und stereotyp. Viktors Charakter blieb mir ebenfalls fremd. Seine Aktivitäten fand ich seltsam, erst kümmert er sich kaum um Tilda, dann gibt er den Schwestern Obdach, nachdem die Mutter ausgerastet ist und schickt sie gleich am nächsten Morgen weg, um sich später liebevoll wieder um die kranke Tilda zu kümmern. Bei Tilda war ich mir nicht im Klaren, ob sie Viktor wegen ihrer eigenen Schuldgefühle und der Ähnlichkeit mit seinem verstorbenen Bruder mag oder wegen etwas anderem. Ihre Leidenschaft konnte ich nicht nachvollziehen. Es schien mir, als würde sie sich an ihn wie an einen Strohalm klammern, der sie aus ihrem schlechten Leben rausholt.
Ida mochte ich am meisten, sie versucht sich innerlich von der Mutter abzuschirmen, verarbeitet ihre Gefühle in ihren Malereien und agiert für ihr Alter erstaunlich vernünftig. Das Ende ließ einige Fragen offen und mich etwas unbefriedigt zurück, weil mir die Tiefe etwas gefehlt hat. Laut Rückseitentext soll dies hier ein u. a. "witziger.. Roman" sein. Den Witz habe ich leider nicht gefunden. Ich empfand es eher melancholisch, wenn auch mit hoffnungsgebenen Momenten.

Fazit:

Ein Roman wie ein Unterwassersog, der mich jedoch nicht so in die Tiefe zog wie gewünscht und mich leicht melancholisch zurückließ