Rezension

Trotz schwieriger Gesamtsituation kein Trübsinn, sondern Spannung

22 Bahnen -

22 Bahnen
von Caroline Wahl

Bewertet mit 5 Sternen

Ich bin beeindruckt und begeistert von diesem Buch. Ich empfinde es als etwas Besonderes und weiß schon jetzt, dass es zu meinen Lesehighlights im gerade begonnenen Jahr 2024 gehören wird.

Eigentlich ist die gesamte Situation, in der sich Tilda und ihre kleine Schwester Ida befinden – mit ihrer alkoholkranken Mutter – ziemlich bedrückend. Dennoch habe ich das Buch keineswegs als traurig oder trübsinnig empfunden.

Schon den Anfang finde ich stark. Da wird ein Spiel beschrieben, welches Tilda bei ihrem stupiden Job an der Supermarkt-Kasse immer spielt: Sie schaut nur auf die Waren, die jemand kauft und versucht zu erraten, was das für eine Person ist, ob männlich oder weiblich, wie alt, wie sie aussieht usw. Dieses Spiel zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman.

Überhaupt hat Tilda eine Menge Routinen, wie z. B. die 22 Bahnen, die sie im Freibad immer schwimmt. Nur durch diese Routinen (auch das Spiel am Kassenband) kann sie ihren verantwortungsvollen Alltag meistern. Schnell wird klar, dass die Bürde, die sie trägt, eigentlich viel zu schwer für sie ist.

Ich frage mich die ganze Zeit, wie sie das alles schafft, denn eigentlich studiert sie Mathematik und das sogar sehr erfolgreich, denn sie bekommt eine Promotionsstelle angeboten. Allerdings in Berlin, so dass sie Angst hat, was dann aus ihrer kleinen Schwester Ida wird, wenn sie sie mit der alkoholkranken Mutter allein zurücklässt.

Aber Tilda beklagt sich nie, sondern sucht immer nach Lösungen. Das macht sie mir besonders sympathisch.

Auch die kleine Ida muss man einfach lieb haben. Sie ist für eine Zehnjährige schon sehr weit. Es bleibt auch ihr ja nichts anderes übrig. Ida ist eher künstlerisch veranlagt und introvertiert. Sie zeichnet gerne und geht nur ins Schwimmbad mit Tilda mit, wenn es regnet, damit nicht so viele andere Leute da sind.

Besonders gut gefällt mir die Interaktion zwischen Tilda und Ida. Tilda ist niemals mit Ida böse und „befiehlt“ auch nichts, sondern macht Vorschläge. Besser könnte eine „funktionierende“ Mutter auch nicht handeln.

Auch die anderen Personen, wie z. B. Viktor, aber auch Nebenfiguren, wie Ursula, die ältere Dame im Schwimmbad, werden durch den anschaulichen Schreibstil der Autoren gefühlt real. Die Mutter von Tilda und Ida macht mich zum Teil wütend, aber manchmal tut sie mir auch leid.

Die Geschichte ist sehr spannend. Ich konnte mich kaum davon lösen und habe sie fast in einem Rutsch durchgelesen.

Fazit: Ein absolut fesselnder und stimmiger Roman, trotz der zum Teil traurigen Zustände keineswegs düster. Manche Passagen haben mich sogar schmunzeln lassen.

Klare Leseempfehlung!