Rezension

Umwerfende Geschichte

22 Bahnen -

22 Bahnen
von Caroline Wahl

Bewertet mit 5 Sternen

Es gibt Bücher, die umreißen ein ganzes Leben und erreichen trotzdem nicht die Tiefe, die dieses Buch als Auszug aus dem Alltag einer Familie schafft. „22 Bahnen“ erzählt eine Geschichte von Pflicht und Verantwortung, vom Wunsch nach Freiheit und der Unwahrscheinlichkeit von Liebe in einer scheinbar ausweglosen Situation. Dieses Buch hat mich abgeholt und mitgenommen. Und als es vorbei war, blieb beklemmende Schwere und eine leise Hoffnung. Unbedingt lesenswert! Zum Inhalt: Tilda schwimmt jeden Tag 22 Bahnen. Das ist ihr kleiner Ausbruch aus dem Alltag, der gezeichnet ist von einer alkoholkranken Mutter, der Verantwortung für ihre kleine Schwester Ida, dem Job im Supermarkt und ihrer Masterarbeit. Dann bekommt Tilda eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt und hinterfragt zum ersten Mal seit langem, was sie sich eigentlich erhofft vom Leben und ob sie sich diese Freiheit überhaupt erlauben darf. Und dann ist da noch Viktor, der genauso gezeichnet vom Leben ist wie Tilda. Können zwei ertrinkende gemeinsam Schwimmen lernen? Diese Geschichte erzählt ungeschönt vom Leben, wie es sicherlich hinter vielen Häuserfassaden stattfindet. Es ist eine Geschichte, von einer jungen Frau, die ohne Vater aufwächst und deren Mutter immer wieder in die Alkoholsucht abrutscht, wegdriftet, sich verliert. Die Alltagsszenen sind sehr eindringlich erzählt, hautnah erfährt der Leser von den Schwierigkeiten und Sehnsüchten in Tildas Leben. Das zarte Annähern zwischen ihr und Viktor hat mir sehr gut gefallen, die Einbindung von Ida sorgte für zusätzliche Emotionalität, die ich als Leser sehr greifbar fand. Generell ist Ida fast schon meine Lieblingsfigur in dieser Erzählung, ich liebe ihre Art, die Geschichten, die sie mit Tilda erfindet, besonders die vom Seemann und wie sie lernt stark zu sein. Die Autorin hat mit Tilda und Ida zwei sehr besondere Figuren geschaffen, die ans Herz gehen. Die Geschichte wird als Ausschnitt erzählt, Rückblenden gibt es nur, wo es für die Handlung notwendig und hilfreich ist, das „danach“ bleibt offen und voller Möglichkeiten. Ich wollte nicht, dass dieses Buch endet, ich wollte wissen, wie es weitergeht, ob Tilda ihr Happy End bekommt und mit Ida ans Meer fährt. Aber so bleibt es sehr authentisch, ein Ausschnitt aus einem Leben.