Rezension

Mal wieder ein Mittsommermord

Refugium -

Refugium
von John Ajvide Lindqvist

Bewertet mit 3 Sternen

Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Millennium-Reihe von Stieg Larssons gelesen habe. Wahrscheinlich, weil ich vor allem die Filmbilder im Kopf habe - die skandinavischen wie die amerikanischen. (Ein Unding, dass die Amis immer nochmal alles mit ihren eigenen Schauspielern verfilmen müssen und gute, individuelle Geschichten mit ihrem Hollywood Einheitsguss überziehen.) Was ich nicht wusste, ist, dass nach Larssons Tod die Geschichte weiter erzählt wurde von anderen Autoren. Ich dachte, dass wäre ein Witz von Lindqvist, um seiner Geschichte einen Aufhänger zu geben. Aber nein, wie es scheint, verarbeitet er so die eigene Ablehnung Larssons literarisches Erbe antreten zu dürfen. Die Parallelen zu Blomkvist und Salander lassen sich in „Refugium“ nicht von der Hand weisen. Krimiautorin und Ex-Polizistin Julia Malmros lernt während der Recherche an ihrem neuen Buch, welches die Millennium Nachfolge antreten soll, den jungen Hacker Kim Ribbing kennen. Die beiden kommen sich näher und werden prompt Zeugen eines furchtbaren Verbrechens an Mittsommer. Weil die schwedische Polizei aufgrund der internationalen Verwicklungen nur langsam vorankommt, beginnen Julia und Kim auf eigene Faust zu ermitteln.  

Ein Großteil der Handlung entspinnt sich zwischen der älteren, gut situierten Autorin und dem traumatisierten, misshandelten jungen IT-Experten. Für die Figur der Julia Malmros muss Lindqvist wenig übrig haben. Er zeichnet sie zuweilen recht überheblich, egozentrisch und übergriffig. Züge von Einsamkeit und Verbitterung schwingen mit. Für Kim Ribbing legt sich der Autor mehr ins Zeug. Während Julia wegen Langeweile aus dem Job und ihrer Ehe ausgebrochen ist, musste Kim Jahre unter einem sadistischen Großvater leiden, von dem die Eltern abhängig waren und ihr Kind quasi verkauft haben. Doch Kim wusste sich zu wehren und kämpfte sich immer wieder auf die Füße. Als einziger Erbe seiner Familie schwimmt er nun im Geld und bekämpft übers Netz die vielen fiesen Schurken dieser Welt. Gesetze legt er großzügig aus. Der eigentliche Fall des ermordeten schwedischen Unternehmers und seiner Geschäftsfreunde wird fast zur Nebensache, weil man so mit den beiden Hauptfiguren beschäftigt ist. Mich interessiert er jedenfalls nur zweitrangig. Ich will wissen, was Kim widerfahren ist und wie die Beziehung zwischen ihm und Julia weiterlaufen wird. Ob Lindqvist sich das so gedacht hat? Sein Thriller ist mir ein bisschen zu sehr inszeniert. Die Figuren zu lieblos gestaltet und deren innere Konflikte zu flach oder vorhersehbar erzählt. Die typischen Zutaten für einen Thriller greifen hier irgendwie nicht richtig ineinander. Dennoch beherrscht Lindqvist das Erzählen. Ich bin die gut 500 Seiten am Ball geblieben, hab mich schon auch unterhalten gefühlt. Doch so richtig überzeugen konnte mich der Autor mit seiner Millennium-Adaption nicht. Da würde ich lieber Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander bei ihren Fällen begleiten.