Rezension

Brutal, hart und gnadenlos

Die Auslese - Joelle Charbonneau

Die Auslese
von Joelle Charbonneau

Bewertet mit 5 Sternen

Die Welt, wie wir sie kannten, existiert nicht mehr. Kriege haben die Menschheit vernichtet und große Teile der Landschaft vernichtet. Nur wenige Landabschnitte waren überhaupt bewohnbar. Die ersten klügsten und erfinderischsten Menschen haben es geschafft, wieder essbare Pflanzen zu züchten und Kolonien möglich zu machen.
Eine kleine Kolonie ist Five Lakes, wo Cia mit ihren Brüdern in einer Gärtnerei aufwächst. Ihr Vater war einer derjenigen, die zur Universität durften, um alles über Genforschung zu lernen. Ihm ist es zu verdanken, dass die Kolonie von grüner Vegetation umgeben ist.
Cias größter Wunsch ist es, ebenfalls auf die Universität zu gehen, doch dafür muss sie für den Auswahlprozess, genannt die Auslese, gewählt werden. Und seit Jahren ist niemand mehr aus der Five Lakes Colony genommen worden...

Am Abend der Feier zum Abschluss der Schule erfährt Cia, dass sie und drei andere tatsächlich zur Auslese gewählt wurden. Als ihr Vater das mitbekommt, vertraut er ihr ein großes Geheimnis an: Bei der Auslese wird nicht nur die Intelligenz getestet, sondern auch der Überlebenswillen. Nur noch über Alpträume kann er sich erinnern, dass bei seiner Auslese etwas Schreckliches geschehen sein muss!

Mit diesem Wissen reist Cia in die ihr bisher unbekannte Hauptstadt Tosu City. Sie darf niemandem vertrauen, sie muss jederzeit achtsam sein - und immer um ihr Leben fürchten.
Ihr einziger Vertrauter ist Tomas. Er scheint wirklich besorgt um sie und ihr Vorankommen zu sein. Aber kann Cia ihm trauen? Ist die Liebe es wert, das Leben zu riskieren?

"Die Auslese" unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von den anderen im Handel erhältlichen Dystopien. Die Welt ist zerfurcht, die Menschheit vernichtet, das Leben schwer. Joelle Charbonneau hat sich allerdings sehr genau überlegt, wie die Überlebenden ihre Gesellschaft einrichten. Anders als bei "Legend", "Die Bestimmung" oder "Partials: Aufbruch" gibt es eine Führungsebene, die durch ein knallhartes Auswahlverfahren ermittelt wird. Hier gibt es eine Auslese. Das Wort hat ja schon einen negativen Charakter. Auslese trennt die Spreu vom Weizen, die Guten von den Schlechten.
Und so auch bei Charbonneau. Die Intelligentesten werden zu den Tests gerufen, aber bei den Tests zählt nicht nur Intelligenz, wie man nach und nach erfahren muss.

Das Buch begann schleppend langsam. Man lernte Cia kennen, ihre Familie, ein bisschen etwas über die Five Lakes Colony. Gemächlich geht es dann zur Auslese, wo man jede Aufgabe genau erklärt bekommt, Cia jedes Gefühl beschreibt und jede Mahlzeit. Aufgrund des Titels und der durch die Erzählung des Vaters geweckten Erwartungen aber war das alles zwar zäh – aber wahnsinnig spannend. Muss Cia um ihr Leben fürchten? Hat ihr Vater etwas anderes erlebt? Was ist da passiert – ist es jetzt anders?

Dann schien die Erzählung wie durch einen Flaschenhals ins Freie gerutscht. Plötzlich erweiterten sich die Ausmaße, die Dramatik und die Unfassbarkeit der Handlung ins Unermessliche. Was vorher dahinplätscherte gewann an Fahrt und nahm einen beim Lesen rasant mit. Cias Kampf ließ einen fassungslos vor dem Buch sitzen. Viele Fragen blieben ungeklärt und skizzierten eine Welt, die vorher überhaupt nicht so angeklungen ist.

Da das Buch auch nicht sehr dick ist, ist die Geschichte sehr eng gestrickt. Das Ende kommt Schlag auf Schlag und man steht machtlos daneben und möchte so gerne eingreifen, so gerne helfen! Als ich die letzten Seiten gelesen habe war es bereits tiefe Nacht – aber ich musste wissen, wie es ausgeht. Und dann wollte ich das Buch nur noch in die Ecke werfen und darauf herumtrampeln. Das Ende ist … ich sag jetzt lieber nichts. Dieses Buch ist wirklich gut! Wirklich wirklich gut!

Es geht weniger um Liebe oder um die zerstörte Welt. Es geht vor allem um Machtkämpfe, Skrupelosigkeit und den eigenen Willen, zu überleben. 
Von mir gibt es fünf Sterne!