Rezension

Grandioser Thriller, erschreckend real

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von Marc-Uwe Kling

Bewertet mit 5 Sternen

Die 16-jährige Lena Palmer wird als vermisst gemeldet, kurze Zeit später taucht im Netz das Video eines widerwärtigen Verbrechens an ihr auf, das Wasser auf die Mühlen der rechten Parteien und Gruppierungen ist. Passen die Täter doch genau in deren Weltbild. Nicht ohne Hintergedanken betraut das BKA Kommissarin Yasira Saad mit dem explosiven Fall. Sie soll die Täter identifizieren und für Gerechtigkeit sorgen, bevor der wütende Mob auf die Barrikaden geht. Es dauert nicht lange, da bildet sich die Gruppe "Aktiver Heimatschutz" und bekommt täglich mehr Zulauf. Dann wird ein weiteres Video veröffentlicht und eine gewalttätige Demo lässt die Situation außer Kontrolle geraten. Schafft es Yasira den Fall zu lösen, bevor sie selbst ins Fadenkreuz gerät?

Den Autor Marc-Uwe Kling kennt man vor allem durch seine Känguru-Chroniken, die mich nicht so interessieren und die lustigen Bilderbücher vom Neinhorn. Mit diesem Thriller verlässt der Autor aber komplett die eher witzige Schreibe und begibt sich in ein schwieriges Terrain. Es reizte mich ungemein zu erfahren, wie gut ihm das gelingt. Das Cover fand ich eher wenig aussagekräftig und ich denke, dahinter steckt Absicht. Der Titel Views deutet schon an, dass es hier auch um Social Media und Klicks geht, etwas, was in der heutigen Zeit oft mehr Wert ist, als echte Kontakte und persönliche Worte. Das Buch hat nicht allzu viele Seiten, so dass es immer fraglich ist, ob man in der kurzen Zeit in die Handlung hineinfindet und eine Verbindung zu den Protagonist*innen aufnehmen kann. Schon nach kurzer Zeit waren alle meine Bedenken wie weggeblasen. Und das wörtlich: This thriller blew my mind! Er ist mehr am Puls der Zeit, als alles, was ich bisher gelesen habe und hallt immer noch nach.

Schon zu Beginn wurde bei mit Mitgefühl ausgelöst für die verschwundene 16-Jährige, denn man ahnt schon, dass ihr etwas Schreckliches zugestoßen sein muss. Geschickt spielt der Autor mit diesem Gefühl und verwandelt es in Schrecken und Wut, nicht nur auf die Täter im Video, sondern auch auf die Menschen, die von einigen wenigen auf alle Menschen schließen und den Fall als willkommene Begründung für Hass und Hetze nutzen. Mittendrin in dem ganzen Chaos, das durch das Video ausgelöst wird, steht Yasira Saad mit ihrem Team, die aus einem ganz bestimmten Grund für die Ermittlung ausgewählt wurde. Die Ereignisse spitzen sich derart zu, dass mir oft einfach der Mund offen stehen geblieben ist und ich das Atmen vergessen habe. Genauso würde ein solcher Fall vermutlich in der Realität ablaufen und der weitere Verlauf ist mehr als aufrüttelnd und lässt mich mit Fragen zurück, wie wir in Zukunft mit jeglicher Art von Informationen umgehen sollen.

Die Ermittlerin selbst gefällt mir sehr gut, sie ist sehr tough, manchmal vielleicht auch etwas zu waghalsig, um zu beweisen, dass gewisse Vorurteile ihr gegenüber keinesfalls zutreffen. Sie vertritt gleich mehrere sogenannte Minderheiten und der Blick auf sie ist für mich daher sehr interessant. Zeitweise fühlte ich mich bei Views, als stünde ich als zur Untätigkeit verurteilter Beobachter dabei, während um mich herum die Welt aus ihren Angeln gerissen wird. Sowohl die Hintergründe des Falls als auch das Ende haben mich einfach umgehauen, nicht nur weil sie so real wirken und so brutal sind, sondern weil man sich angesichts dessen einfach machtlos fühlt. Der Thriller bietet so viel Stoff für Gespräche und an einigen Details werde ich wohl noch länger zu knabbern haben. Man traut sich fast nicht zu sagen, dass das Buch unterhaltsam war, denn dafür war es einfach zu heftig. Trotzdem hab ichs verschlungen und empfehle es dauernd weiter, vor allem auch an Menschen, die gern die modernste Technik verwenden und sich mehr Digitalisierung wünschen. Views sind in dem Fall nicht alles und schon gar nicht positiv. 5 Sterne