Rezension

Buchtipp: Teri Terry – Gelöscht (1|3)

Gelöscht - Teri Terry

Gelöscht
von Teri Terry

Bewertet mit 5 Sternen

Stell dir vor, dein Gedächtnis wird gelöscht. All das, was dich im tiefsten Inneren ausmachte, deine Erinnerungen an deine Familie, deine Freunde, dein ganzes früheres Leben – einfach weg! Geslated! Ist das nicht eine grausame Vorstellung?

Das dachte sich auch Teri Terry, als ihr die Idee zu ihrer Dystopie »Slated« kam, die nun hier bei uns in Deutschland im Coppenrath Verlag erschien. Band 1 mit dem Titel »Gelöscht« zeigte mir auf eine mehr subtile Weise, wie spannend eine Dystopie sein kann, ohne hinter jeder Ecke mit actionreichen Szenen hervorzupreschen. »Gelöscht« ist hochspannend und angsteinflößend! Diesen geheimnisumwitterten Auftakt in eine neue Trilogie möchte ich euch heute vorstellen.

Wem kannst du vertrauen?

England, 2054. Die 16jährige Kyla wurde geslated. Sie ist wie ein kleines Kind, das alles von Grund auf neu lernen muss: lesen, sprechen, laufen. Alle Erinnerungen an ihr altes Leben, welches sie führte, bevor ihr Gedächtnis gelöscht wurde, wurden ausradiert. Die junge Frau wurde einer Familie zugeteilt, wo sie ihr neues Leben beginnen soll, sie steht jedoch für die nächsten Jahre unter ständiger Beobachtung und muss sich in gewissen Abständen ärztlichen Untersuchungen unterziehen. Ihre Schwester Amy scheint sich der Situation ganz gut angepasst zu haben, doch Kyla merkt recht schnell, dass mit ihr etwas anders ist. Sie trägt nicht dieses gleichgültige Glückseligkeitslächeln auf den Lippen, Erinnerungsfetzen blitzen auf und sie leidet unter heftigen Albträumen. Die Stimmen ihrer Vergangenheit rufen nach ihr, lassen sie nicht los. Wer oder was war sie? Was hat sie getan? Kyla versucht sich zu erinnern und diesen brennenden Fragen auf den Grund zu gehen, doch sie verstrickt sich bei ihrer Spurensuche immer tiefer in eine Gesellschaft, die ein Leben ohne Überwachungssystem gar nicht mehr zu kennen scheint…

Subtiler Argwohn, von Seite zu Seite…

Grüne Augen sehen mich mit leerem Blick an, als ob sie durch mich hindurch sehen wollen. -Gelöscht- steht über dem Gesicht, mit einer Schreibmaschine schnell auf ein zerrissenes Stück Papier getippt. Nichts versinnbildlicht die Zerrissenheit dieses Mädchens wohl mehr als dieses wirklich gelungene Coverfoto, das von der originalen Ausgabe übernommen wurde.

Ich bin mit hohen Erwartungen in die Leserunde gegangen, der Ansturm war enorm; fast 500 Bewerber kämpften um eines der begehrten 30 Leseexemplare und ich war völlig aus dem Häuschen, als ich als eine der Testleser ausgelost wurde. Kurz nachdem »Gelöscht« bei mir zuhause im Briefkasten lag, begann ich auch schon zu lesen und war vom ersten Moment an völlig fasziniert von dieser Geschichte.

Namen schweben davon, wenn ich sie greifen will, also lasse ich sie ziehen: Ich will einfach nur daliegen und ich sein. Es ist Zeit. Wie Nebel löse ich mich auf, bis ich verschwunden bin. [...] Stille. Warum ist es so still? – Seite 27

Teri Terry schreibt fantastisch. Ich hätte »Gelöscht« am liebsten gar nicht mehr aus der Hand gelegt, einzig zufallende Augen und übermächtige Müdigkeit zwangen mich schließlich zu einer Lesepause und wohlverdienter Nachtruhe. Was ist so besonders an diesem Dystopieauftakt? Dieses höchstspannende Debütist anders als erwartet, anders als die Dystopien, die ich bisher gelesen habe. Versteht mich nicht falsch, ich lese gerne actionreiche Bücher, sehr gerne sogar. Daher war es wirklich klasse, einfach mal eine ganz andere Plotidee und Umsetzung dieser Idee vor Augen zu haben. Ganz langsam, beinahe schleichend baute sich vor meinen Augen eine beklemmende Welt auf, mitten darin die junge Kyla.

Stellt euch dieses Gefühl etwa so vor: An jeder Ecke blickst du dich um, ob du nicht verfolgt wirst. Immer wieder wirfst du einen Blick auf dein Handgelenk, versuchst deine Gefühle im Zaum zu halten, denn wenn dir das nicht gelingt, bist du tot. Du hast so ein Kribbeln im Nacken, als ob jemand im Gebüsch sitzt und dich beobachten würde. Du zwingst, dich nicht umzusehen und einfach weiterzulaufen, Schritt für Schritt. In genau diesem stetig ansteigenden Spannungstempo führt uns die Autorin durch das Buch, immer und immer tiefer in einen Sumpf aus Geheimnissen, staatlicher Überwachung und Terroristen, deren Gehirn einmal durch den Slater-Fleischwolf gedreht wurde. Man hat ihnen selbst die Fähigkeit genommen, sich wehren zu können!

Seite um Seite wurde ich tiefer in die Geschichte, tiefer in das Unterbewusstsein der Protagonistin gezogen. Die Autorin schockiert mich gleich zu Beginn mit einem verwirrenden Prolog, kurzen, rasanten Sätzen und einerbedrohlichen Grundstimmung, welche sich im Laufe des Buches zusehens verdichtet. Mit geschickt plaziertenRückblenden geriet ich immer tiefer in einen Strudel aus Paranoia, Misstrauen und wachsendem Unmut gegenüber Kylas direktem Umfeld. Zu der jungen Frau hatte ich von Anfang an einen guten Draht, die Ich-Perspektive zog mich ganz nah an ihren Charakter heran, ließ mich ihre Angst bis tief in die Knochen spüren und das Herz schneller schlagen.

Habt ihr schon mal einen richtig guten Psychothriller gelesen? »Gelöscht« spielt sich fast nur auf psychischer Ebene ab, actionreiche Szenen braucht diese Story nicht. Die Albträume wurden zwar blutiger, grausamer doch Splatterszenen wird man hier keine finden. Allein schon die Andeutung von Gewaltbereitschaft sorgt für Nervenkitzel pur! Teri Terry versteht ihr Handwerk und hat mir ein beachtliches Debüt in die Hand gelegt, das ich- nachdem ich es ein wenig sacken lassen konnte -, etwa eine Woche nach dem Beenden noch euphorischer empfand, als in den Stunden direkt nach dem Schließen des Buchdeckels.

Die Seiten flogen, noch eine weitere, noch eine, egal wie müde ich jetzt bin. Ich muss das jetzt wissen! Es muss doch gleich irgendwo ein Anhaltspunkt zu finden sein, was mit Kyla geschehen ist. Das gibt es doch einfach nicht! Unglaublich, wie spannend die Autorin die Suche der Protagonistin nach ihrem eigenen Ich, nach ihrer Identität gestaltet hat. Das Buch sinkt auf meine Beine, ich starre Löcher in die Luft, denke nach. Wie kann das sein, wie kann sie diese Erinnerungsfetzen vor Augen haben, was hat es mit diesen Albträumen auf sich und wem kann Kyla überhaupt noch vertrauen? Vertraue niemandem, zieh die Mauer hoch! Vergiss nie, wer du bist!

Gedanken, Emotionen, die mich bewegten. Während des Lesens und lange nach dem letzten Wort.

Ich weiß nicht, was ich getan haben könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals so etwas Grauenhaftes hätte tun können. [...] Aber wir werden es nie erfahren. Wir können nur unser Leben leben, wie es jetzt ist: die sein, die wir jetzt sind. – Seite 165

Ganz allmählich, nach ungefähr zwei Drittel des Buches, hebt sich der graue, undurchsichtige Schleier des Vergessens ein wenig und wir blicken hinter die Fassade der Gesellschaft Englands des Jahres 2054. Da gehen Dinge vor sich, die durchaus in unserer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts passieren könnten. Ich erinnere im Zusammenhang mit der Kontrolle, welche im Buch eine wesentliche Rolle spielt, an die aktuelle Überwachungsaffäre der NSA oder die Angst vor Terrorismus in den letzten Jahren. Die Autorin schreibt realitätsnah und gibt ihren Charakteren Natürlichkeit, Logik und für den Leser fühlbare Emotionalität mit auf den langen Weg durch die 432 Seiten. Menschen verschwinden einfach, Kontrollmechanismen beherrschen alles und jeden. Die Autorin spielt die ganze Zeit mit einer einzigen Frage: Wer war Kyla, bevor ihr Gehirn gegrillt wurde? Das Warum nagt unerbittlich am Nervenkostüm. Laut klopft die Angst an die Türen des Lesers, das Herz pocht bis zum Hals, Misstrauen dringt in jede Ritze des Verstandes. Das Finale, das mich mit einem ziemlich fiesen Cliffhanger, der unerbittlich Hunger auf Band 2 macht, in meinem Lesesessel zurückfallen lässt, holt nochmal zum großen Paukenschlag aus.

Wir sehen uns im Frühjahr 2014, liebe Kyla!

Zum Abschluss habe ich ein wenig recherchiert und bin auf eine Information gestoßen, die euch wohl sehr gut gefallen könnte: Slated wird vorausichtlich verfilmt! Die Medienvertriebs- und Produktionsfirma Prescience hat den Stoff unter die Lupe genommen und listet »Slated« mit dem Status in development auf ihrer Webseite. Das sind tolle Nachrichten, oder? Wer wohl für die Rollen gecastet wird?

Informationen zur Reihe:
→ #1 Slated – Gelöscht
→ #2 Fractured - Zersplittert
→ #3 Shattered - ?

Mein Fazit: Ein wirklich sehr fesselnder Auftakt in eine gnadenlos spannende Trilogie, die geschickt mit der Paranoia & Angst des Lesers spielt und für nervenaufreibende Spannung sorgt!  Teri Terry sorgt dafür, dass sich bis zum Warten auf Band 2 garantiert kein Schleier des Vergessens über den Leser senkt! Kurz: »Gelöscht« macht großen Appetit auf die Fortsetzung, auf die ich mit großer Vorfreude warte!